PROFESSION. Text von Christoph Kern

Die von der Kunstakademie sind die Profis. Die anderen sind Autodidakten, die Hobbykünstler. Dumm nur, dass etliche Künstler an Kunsthochschulen Professoren geworden sind, ohne je selbst an einer studiert zu haben. Künstler ist eben kein geschützter Beruf -jeder kann und darf sich Künstler nennen und Kunst produzieren. Eine akademische Ausbildung, wie man sie mit festem klassizistischem Regelwerk von Kunstakademien des 19. Jahrhunderts kennt, findet an Kunsthochschulen heutzutage nicht mehr statt.

Im Grunde sind auch Abgänger dieser Hochschulen Autodidakten. Nun ist keineswegs das Studium an der Akademie der Bildenden Künste überflüssig geworden, ist sie doch das Spielfeld zur Anreicherung der eigenen bildnerischen Potenziale. Und es ist die Phase, in der das künstlerische Erwachsenwerden so weit reifen muss, dass man sich die Entscheidung zutraut, „freischaffender“ Künstler mit allen Konsequenzen zu werden. Mit anderen Worten: der Sinn einer Kunstakademie liegt heutzutage nicht mehr darin, „richtig“ malen zu lernen, sondern sich auf einen durchaus kompetitiven Diskurs mit künstlerischen Positionen der Gegenwart und der Kunstgeschichte einzulassen.

Wie tragfähig dann eine künstlerische Position wird, bestimmt die Kunstgeschichte erst mit genügend zeitlicher Distanz; die Verkaufbarkeit wiederum regelt der Kunstmarkt nach marktimmanenten Maximen. Aber die eigene künstlerische Haltung, die verantwortet der Künstler in seiner Unbeirrbarkeit und Neugier und bildnerischen Konsequenz.

Gleich nach Abschluss meines Studiums der „Freien Malerei und Grafik“ an der AdBK in München, begann ich Mitte der 1980er Jahre an der Sommerakademie Neuburg Seminare für Malerei zu geben. Der Anspruch war, einem eher freizeitmäßig versierten Publikum eine professionelle Sicht auf die Bildende Kunst zu vermitteln. Die praktische Auseinandersetzung mit Malerei sollte dazu führen, den Teilnehmern einen vertiefenden, ernsthaften Zugang zur Bildenden Kunst zumindest für den Zeitraum der Workshops zu vermitteln.

So lernte ich Christel Rietze kennen. Nach 25 Jahren arbeite ich noch immer mit Christel Rietze zusammen, inzwischen an der Freien Akademie Wagenhofen, die sich seit 1999 als ein festes Spielfeld für malerische Auseinandersetzungen etabliert hat. Hier entwickeln eine ganze Reihe von Malern und Malerinnen regelmäßig ihre bildnerischen Vorhaben weiter.

Und hier darf ich auch für Christel Rietze in meiner Funktion als Spielertrainer und Sparringspartner unterstützend die notwendigen bildnerischen Diskurse anstoßen. In unseren Bildbesprechungen geht es nicht nur um die Arbeit am konkreten Bild, auch die Reflexion und Analyse von malerischen Positionen und Techniken der Vergangenheit und Gegenwart spielten eine wesentliche Rolle. Und nicht zuletzt die MalerkollegInnen fördern und fordern sich in Wagenhofen im besten akademischen Sinne. Hier hat Christel Rietze übrigens auch ihr ständiges Atelier.

Christel Rietze ließ sehr bald die konventionelleren Landschafts- und Stadtansichtsaquarelle der Anfangszeit hinter sich. Ihre Bildwelt wurde mehr und mehr von sehr persönlichen, selbstreflektierenden Erlebnissen bestimmt. Selbst den vordergründig weniger psychologisch aufgeladenen Bildinhalten, wie den Seilverknotungen oder Wohnblockfassaden, liegt eine tiefere innere Motivation zugrunde. Dennoch, nicht die unmittelbare Übertragung der eigenen Emotion, sondern ihre Transformation in Malerei ist Christel Rietzes wesentlicher Antrieb. Ob es die schmerzhaften Erfahrungen eigener Körperlichkeit (Fußportraits) waren oder der langsame Vergehensprozess geliebter Personen (Ludwig-Bildnisse), nicht das Narrativ dominiert, erst das Ringen um die Form führt zum adäquaten Bild innerer Empfindungszustände. Christel Rietze vertieft sich zuweilen so in ihrer eigenen Bildwelt, dass ihr das verstörend Expressive ihrer Bilder gar nicht bewusst wird und sie sich manchmal wundert, warum das geneigte Publikum nicht mehr uneingeschränkt „positiv“ reagiert.
Die malerischen Notwendigkeiten des Bildes bestimmen das Tun, nicht mehr eine Ideologie des „schönen Bildes”. Die Emanzipation vom puren Gefallen-Wollen hat stattgefunden. Die beständige Arbeit in einem Umfeld des künstlerischen Austauschs hat Christel Rietzes Fähigkeit und Disziplin gefestigt, bildnerisch „dicke Bretter zu bohren”, aber auch ein gerüttelt Maß an Gelassenheit hinzugefügt. Ihre künstlerische Persönlichkeit hat sich konsolidiert und das wird in dieser Bilderschau sehr offenbar. Und letztendlich stellt sich eine Frage gewiss nicht mehr: ob und wie sie malen will, und was sie wollen soll.
Christel Rietze muss malen. Es ist ihre Profession.

Christoph Kern

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